Alexius Meinong
Um zu erkennen, dass es kein rundes Viereck gibt, muss ich eben über das runde Viereck urteilen.
Wer paradoxe Ausdrucksweise liebt, könnte also ganz wohl sagen: es gibt Gegenstände, von denen gilt, dass es dergleichen
Gegenstände nicht gibt ...
Daß man nicht erkennen kann, ohne etwas zu erkennen,
allgemeiner: daß man nicht urteilen kann, ohne über etwas zu
urteilen, etwas vorzustellen, gehört zum Selbstverständlichsten,
das bereits eine ganz elementare Betrachtung dieser Erlebnisse ergibt.
Metaphysik hat es ohne Zweifel mit der Gesamtheit dessen zu tun, was existiert.
Aber die Gesamtheit dessen, was existiert, mit Einschluß dessen,
was existiert hat und existieren wird, ist unendlich
klein im Vergleiche mit der Gesamtheit der Erkenntnisgegenstände;
und dass man dies so leicht unbeachtet lässt, hat wohl darin seinen
Grund, dass das besonders lebhafte Interesse am Wirklichen, das in unserer
Natur liegt, die Übertreibung begünstigt, das Nichtwirkliche
als ein bloßes Nichts, genauer als etwas zu behandeln, an dem das
Erkennen entweder gar keine oder doch keine würdigen Angriffspunkte
fände.
Aber die Einordnung alles Wissens in Natur- und Geisteswissenschaft
trägt unter dem Scheine einer vollständigen Disjunktion eben
nur demjenigen Wissen Rechnung, das es mit der Wirklichkeit zu tun hat:
es ist also näher besehen gar nicht zu wundern, dass die Mathematik
dabei nicht zu ihrem Rechte gelangt.
Alexius Meinong (1853 - 1920)
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