John R. Searle (geb. 1932): Was ist Realismus? (Aus Kapitel 7: Existiert die wirkliche Welt? Teil 1: Angriffe auf den Realismus.) In: John R. Searle: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Deutsch von Martin Suhr. rowohlts enzyklopädie 55587. Reinbek bei Hamburg 1997. S.162-170.

In einer vorläufigen Formulierung habe ich Realismus als die Ansicht definiert, dass die Welt unabhängig von unseren Repräsentationen von ihr existiert. Diese Ansicht hat zur Folge, dass der größte Teil der Welt davon unberührt geblieben wäre, wenn wir niemals existiert hätten, wenn es niemals irgendwelche Repräsentationen - Aussagen, Überzeugungen, Wahrnehmungen, Gedanken usf. - gegeben hätte. Außer dem kleinen Eckchen der Welt, das durch unsere Repräsentationen konstituiert oder beeinflusst wird, hätte die Welt trotzdem existiert und wäre ganz genauso gewesen wie jetzt. Sie hat die weitere Folge, dass, wenn wir alle sterben und alle unsere Repräsentationen mit uns sterben, die meisten Eigenschaften der Welt davon völlig unberührt bleiben: Sie werden genau so bleiben, wie sie zuvor waren. Wir wollen beispielsweise einmal annehmen, dass es einen Berg im Himalaya gibt, den ich mir und anderen als "Mt. Everest" repräsentiere. Der Mt. Everest existiert unabhängig davon, wie oder ob ich oder sonst jemand ihn jemals repräsentiert oder sonst etwas hat. Außerdem gibt es viele Eigenschaften des Mt. Everest, zum Beispiel die Art von Eigenschaften, die ich repräsentiere, wenn ich eine Aussage von der Art mache wie "Der Gipfel des Mt. Everest ist von Schnee und Eis bedeckt", die völlig unbeeinflusst geblieben wären, wenn sie niemals jemand auf irgend eine Weise repräsentiert hätte, und die auch nicht durch das Dahinscheiden dieser oder anderer Repräsentationen beeinflusst werden. Man könnte diese Tatsache dadurch zum Ausdruck bringen, dass man sagt, es gibt viele sprachunabhängige Eigenschaften, Tatsachen, Sachverhalte usf.; aber ich habe sie etwas allgemeiner mit Hilfe des Begriffs "Repräsentationen" ausgedrückt, weil ich festhalten will, dass die Welt unabhängig nicht nur von Sprache, sondern auch von Denken, Wahrnehmung, Überzeugung usf. existiert. Entscheidend ist, dass die Wirklichkeit zu großen Teilen nicht von Intentionalität in irgendeiner Form abhängt.

In der Geschichte der Philosophie ist das Wort "Realismus" in einer großen Vielfalt von Bedeutungen verwendet worden. Im mittelalterlichen Sinn ist Realismus die Lehre, dass Universalien eine wirkliche Existenz haben. Heutzutage spricht man von "modalem Realismus", "ethischem Realismus", "intentionalem Realismus", "mathematischem Realismus" usf. Für die Zwecke dieser Diskussion treffe ich die Regelung, dass "externer Realismus" und "Realismus" (kurz "ER") die Ansicht bezeichnen, die im vorangehenden Paragraphen skizziert worden ist. Ich verwende die Metapher "extern", um die Tatsache zu bezeichnen, dass die fragliche Ansicht in der Auffassung besteht, die Wirklicllkeit existiere außerhalb unseres Repräsentationssystems.

Bevor wir die Argumente für und gegen den Realismus überprüfen, müssen wir ihn von anderen Ansichten unterscheiden, mit denen er oft identifiziert wird. Die erste Verwechslung besteht in der Vermutung, Realismus sei identisch mit der Korrespondenztheorie der Wahrheit oder impliziere sie zumindest. Aber Realismus ist keine Wahrheitstheorie und impliziert auch keine Wahrheitstheorie. Genaugenommen ist Realismus mit jeder Wahrheitstheorie vereinbar, weil er eine Theorie der Ontologie und nicht der Bedeutung von "wahr" ist. Er ist überhaupt keine semantische Theorie. Es ist deshalb möglich, den ER zu vertreten und die Korrespondenztheorie zu bestreiten. Unter einer normalen Deutung impliziert die Korrespondenztheorie den Realismus, da sie impliziert, es gebe eine Wirklichkeit, der die Aussagen korrespondieren, wenn sie wahr sind; aber Realismus für sich allein impliziert nicht die Korrespondenztheorie, da er nicht impliziert, dass "Wahrheit" der Name einer Korrespondenzbeziehung zwischen Aussagen und Wirklichkeit ist.

Ein weiteres Missverständnis besteht in der Annahme, dass es etwas Epistemisches am Realismus gebe. So schreibt zum Beispiel Hilary Putnam: "Der gesamte Inhalt des Realismus liegt in der Behauptung, dass es sinnvoll ist, sich einen Blick aus dem Auge Gottes vorzustellen (oder besser einen Blick von nirgendwo)".

Aber das ist nicht der Inhalt des Realismus, wie er normalerweise verstanden wird. Ganz im Gegenteil, die ganze Idee einer "Ansicht" ist schon epistemisch, und der ER ist nicht epistemisch. Es wäre mit dem Realismus vereinbar zu vermuten, dass jede Art von "Ansicht" der Wirklichkeit ganz unmöglich ist. Tatsächlich ist nach einer bestimmten Interpretation Kants Lehre vom Ding an sich eine Auffassung von einer Wirklichkeit, die jeder beliebigen "Ansicht" unzugänglich ist. Ich bin mir bewusst, dass seit dem 17. Jahrhundert die meisten Argumente gegen den Realismus epistemisch gewesen sind - "alles, was wir jemals wirklich wissen, sind unsere eigenen Sinnesdaten" und dergleichen -, aber die angegriffene These, der Realismus, ist so, wie sie dasteht, überhaupt keine epistemische These. Ich werde später mehr über die epistemischen Argumente gegen den Realismus zu sagen haben.

Ein dritter, ebenfalls verbreiteter Irrtum besteht in der Annahme, dass Realismus auf die Theorie festgelegt ist, dass es ein bestes Vokabular für die Beschreibung der Wirklichkeit gibt, dass die Wirklichkeit selbst bestimmen muss, wie sie beschrieben werden sollte. Aber noch einmal, der ER wie oben definiert hat keine solche Implikation. Die Ansicht, dass die Welt unabhängig von unseren Repräsentationen von ihr besteht, impliziert nicht, dass es ein privilegiertes Vokabular für ihre Beschreibung gibt. Die These der Begriffsrelativität, dass verschiedene und sogar miteinander unvereinbare Vokabularien konstruiert werden könnten, um verschiedene Aspekte der Wirklichkeit für unsere vielfältigen verschiedenen Absichten zu beschreiben, ist mit dem ER vereinbar.

Um diese Punkte zusammenzufassen: Realismus, wie ich den Ausdruck verwende, ist keine Wahrheitstheorie, keine Erkenntnistheorie und keine Theorie der Sprache. Wenn man auf einem Schubfach besteht, könnte man sagen, dass Realismus eine ontologische Theorie ist: Er behauptet, dass eine wirklich vollständig von unseren Repräsentationen unabhängige Wirklichkeit existiert.

In der philosophischen Tradition gibt es eine durchgängig weitere Mehrdeutigkeit im Begriff des Realismus, die ich aufdecken und beseitigen muss. Normalerweise behandeln Philosophen, die diese Probleme diskutieren, sie so, als beträfen sie die Frage, wie die Welt in Wirklichkeit ist. Sie glauben, die Streitfragen zwischen, sagen wir, Realismus und Idealismus handelten von der Existenz der Materie oder von Objekten in Raum und Zeit. Das ist ein tiefgreifendes Missverständnis. Richtig verstanden ist der Realismus keine These darüber, wie die Welt tatsächlich ist. Wir könnten uns völlig im Irrtum darüber befinden, wie die Welt in allen ihren Einzelheiten ist, und der Realismus könnte immer noch wahr sein. Realismus ist die Ansicht, dass es eine Seinsweise der Dinge gibt, die uon allen menschlichen Repräsentationen logisch unabhängig ist. Der Realismus sagt nicht, wie die Dinge sind, sondern nur, dass es eine Seinsweise der Dinge gibt. Und mit "Dingen" in den vorangehenden beiden Sätzen sind nicht materielle Objekte oder überhaupt Objekte gemeint. Es ist, wie das "es" in "es regnet", kein Ausdruck, der sich auf einen Gegenstand bezieht.

Es scheint vielleicht anmaßend von mir zu behaupten, dass die Streitfragen nicht spezifische Behauptungen über Materie und materielle Objekte in Raum und Zeit betreffen, wenn es das doch war, was die Streitenden zu diskutieren glaubten. Aber ich hoffe klarzumachen, dass die Streitfragen gar nicht derart spezifische Behauptungen betreffen können. Realismus kann keine Theorie sein, die zum Beispiel die Existenz des Mt. Everest behauptet, denn wenn sich herausstellen sollte, dass es den Mt. Everest niemals gegeben hat, bliebe der Realismus davon völlig unberührt. Und was für den Mt. Everest gilt, gilt für materielle Objekte überhaupt. Aber was, wenn sich herausstellen sollte, dass es keine materiellen Objekte gibt oder dass sogar weder Raum noch Zeit existieren? Nun, in einem gewissen Sinn hat sich das schon herausgestellt, weil wir uns jetzt materielle Objekte als Mengen von "Teilchen" denken, die selber keine materiellen Objekte sind, sondern am besten als Masse/Energie-Punkte gedacht werden; und der absolute Raum und die absolute Zeit haben Mengen von Relationen auf Koordinatensystemen Platz gemacht. Nicht nur ist keine dieser Auffassungen mit dem Realismus unvereinbar; vielmehr setzen sie alle, wie ich später darlegen will, den Realismus voraus. Sie setzen voraus, dass es eine Seinsweise der Dinge gibt, die unabhängig davon ist, wie wir sie uns repräsentieren.

Wir wollen noch einige weitere Gedankenexperirnente im Science- fiction-Stil anstellen. Angenommen, es stellt sich heraus, die physische Wirklichkeit sei vom Bewusstsein auf eine solche Weise kausal abhängig, dass mit dem Tod des letzten bewussten Handelnden die gesamte physische Wirklichkeit in einer Art negativem Urknall explodiert. Wäre das immer noch mit dem externen Realismus vereinbar? Es wäre, weil die postulierte Abhängigkeit der Materie vom Bewusstsein eine kausale Abhängigkeit wie jede andere ist. Wenn der Realismus behauptet, die Wirklichkeit existiere unabhängig vom Bewusstsein und von anderen Formen der Repräsentation, dann wird damit keine kausale Behauptung aufgestellt oder impliziert. Die Behauptung lautet vielmehr, dass die Wirklichkeit durch Repräsentationen nicht logisch konstituiert wird, dass es keine logische Abhängigkeit gibt.

"Aber angenommen, es stellt sich heraus, dass die einzigen Dinge, die existieren oder jemals existierten, Zustände von körperlosem Bewusstsein sind. Gewiss wäre das nicht mit dem Realismus zu vereinbaren und eine Rechtfertigung des Idealismus oder zumindest einer anderen Version des Antirealismus".

Nein, nicht notwendig. Der Realismus sagt nicht, dass die Welt sich eher in der einen Form als in der anderen herausstellen musste, sondern nur, dass es eine Art und Weise gibt, wie sie sich herausgestellt hat, die unabhängig von unseren Repräsentationen von ihr ist. Repräsentationen sind eine Sache, die repräsentierte Wirklichkeit eine andere, und diese Behauptung ist wahr, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die einzige wirkliche Wirklichkeit in geistigen Zuständen besteht. Eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen Realismus und Antirealismus zu sehen, ist folgende: Nach realistischer Ansicht würden, falls sich herausstellte, dass nur bewusste Zustände existieren, Schiffe und Schuhe und Siegelwachs nicht existieren. Aber die Behauptung, dass Schiffe und Schuhe und Siegelwachs nicht existieren, ist eine Behauptung über die äußere Wirklichkeit wie jede andere. Sie setzt den Realismus genauso voraus wie die Behauptung, dass sie existieren. Nach antirealistischer Ansicht werden solche Dinge, wenn sie existieren, notwendig durch unsere Repräsentationen konstituiert und könnten nicht unabhängig von unseren Repräsentationen existiert haben. Zum Beispiel müssen nach Berkeley Schiffe und Schuhe und Siegelwachs Ansammlungen von Bewusstseinszuständen sein. Für den Antirealisten ist es unmöglich, dass es eine geistesunabhängige Wirklichkeit gibt. Für den Realisten gäbe es immer noch eine repräsentationsunabhängige Wirklichkeit, selbst wenn es tatsächlich keine materiellen Objekte gäbe, denn die Nichtexistenz materieller Objekte wäre einfach nur eine Eigenschaft jener repräsentationsunabhängigen Wirklichkeit. Die Welt könnte, ohne mit dem Realismus in Konflikt zu geraten, anders gewesen sein, aber tatsächlich hat sich herausgestellt, dass sie materielle Objekte in Raum und Zeit enthält.

(Eine alternative Formulierung: Für den Realisten hätte sich nicht herausgestellt haben können, dass es andere Objekte gibt als Repräsentationen, sondern es hat sich tatsächlich herausgestellt. Für den Antirealisten könnte es sich nicht herausgestellt haben, dass es repräsentationsunabhängige Objekte gibt.)

So seltsam es auch scheinen mag, der Realismus ist jüngst sowohl in der Philosophie wie in anderen Disziplinen unter Beschuss geraten. So unterschiedliche Denker wie Michael Dummett, Nelson Goodman, Thomas Kuhn, Paul Feyerabend, Hilary Putnam, Richard Rorty, Jacques Derrida, Humberto Maturana, Francesco Varela und Terry Winograd werden oft (und nicht immer mit Recht, wie ich denke) so interpretiert, als stellten sie unsere naive Annahme in Frage, es gebe eine Wirklichkeit, die von unseren Repräsentationen von ihr vollkommen unabhängig ist. Einige Wissenschaftler haben sogar behauptet, dass die moderne Physik mit dem Realismus unvereinbar sei; so schreibt zum Beispiel J.R. Wheeler:

"Das Universum existiert nicht unabhängig von uns "da draußen". Wir sind unausweichlich an der Hervorbringung dessen, was zu geschehen scheint, beteiligt. Wir sind nicht nur Beobachter, wir sind Teilhaber ... an der Erzeugung der Vergangenheit wie auch der Gegenwart und der Zukunft".

Es gibt verschiedene sehr beunruhigende Dinge an allen diesen Angriffen auf den Realismus. Erstens sind die Argumente gegen unsere Alltagsvorstellung, dass es eine unabhängige Wirklichkeit gibt, oft vage und obskur. Manchmal werden klar formulierte Argumente gar nicht erst vorgebracht. Zweitens: Die alternativen Ansichten, die angeblich in Opposition zum Realismus stehen, sind oft gleichermaßen obskur und unklar formuliert. Selbst unter Analytischen Philosophen sind viele jüngere Diskussionen des Realismus symptomatisch für die allgemeinc Unbestimmtheit, die sich in den vergangenen paar Dekaden breitgemacht hat. Welche Propositionen werden behauptet? Welche werden bestritten? Und welche Argumente werden für die Behauptung und für die Bestreitung vorgebracht? In den meisten Diskussionen dieser Fragen sucht man vergebens nach Antworten auf diese Fragen. Darüber hinaus denke ich, dass diese allgemeine Unbekümmertheit nicht zufällig ist. Irgendwie ist es für unseren Willen zur Macht befriedigend zu glauben, dass "wir" die Welt machen, dass die Wirklichkeit selbst nur eine gesellschaftliche Konstruktion ist, die beliebig veränderbar und zukünftigen Änderungen unterworfen ist, je nachdem, wie es "uns" passt. Ebenso anstößig scheint zu sein, dass es eine unabhängige Wirklichkeit roher Tatsachen (brute facts) gibt - blind, verständnislos, gleichgültig und von unseren Interessen völlig unberührt. Und all dies ist Teil der allgeimeinen intellektuellen Atmosphäre, die antirealistische Versionen des "Poststrukturalismus" wie den Dekonstruktivismus intellektuell akzeptabel, sogar aufregend erscheinen lässt. Aber sobald man einmal die Behauptungen und Argumente der Antirealisten offenlegt, nackt und unverhüllt, neigen sie dazu, ziemlich lächerlich auszusehen. Daher die Obskurität und sogar der Obskurantismus vieler (nicht aller) dieser Diskussionen.

So bin ich etwas in Nöten. Ich sagte, ich würde den Realismus gegen die Angriffe verteidigen, die gegen ihn geführt worden sind, aber offen gesagt habe ich große Probleme, überzeugende Angriffe zu finden, die einer Antwort wert scheinen. Maturana verwirft die Idee einer "objektiven Wirklichkeit" zugunsten der Idee, dass Nervensysteme wie autopoietische Systeme sich ihre eigene Wirklichkeit schaffen. Das Argument scheint folgendes zu sein: Da wir keine Vorstellung von und keinen Zugang zu der Wirklichkeit haben außer durch die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeiten in den "konsensuellen Bereichen", die von autopoietischen Systemen konstruiert werden, gibt es keine Wirklichkeit, die unabhängig von biologischen Systemen besteht. Gegen diese Ansicht möchte ich folgendes sagen: Aus der Tatsache, dass unsere Erkenntnis/Vorstellung/Bild der Wirklichkeit von menschlichen Gehirnen in menschlichen Interaktionen konstruiert wird, folgt nicht, dass die Wirklichkeit, von der wir Erkenntnis/Vorstellung/Bild haben, von menschlichen Gehirnen in menschlichen Interaktionen geschaffen worden ist. (Es gibt darüber hinaus ein Problem mit den menschlichen Gehirnen und den menschlichen Interaktionen selbst. Sollen auch sie durch menschliche Interaktionen konstruiert worden sein?) Der Schluss aus der kollektiven neurophysiologischen kausalen Erklärung unserer Erkenntnis der externen Welt auf die Nichtexistenz der Außenwelt ist einfach nur ein non sequitur, ein genetischer Fehlschluss.

Winograd legt dar, dass ein und derselbe Satz, zum Beispiel "Es ist Wasser im Kühlschrank", verwendet werden kann, um relativ auf die eine Menge von Hintergrundinteressen eine falsche, relativ auf eine andere eine wahre Aussage zu machen. Daraus schließt er, dass die Wirklichkeit nicht unabhängig von unseren Repräsentationen besteht. Wieder, wie schon bei Maturana, folgt dieser Schluss keineswegs. Die Interessen-Relativität unserer Repräsentationen der Wirklichkeit zeigt nicht, dass die repräsentierte Wirklichkeit selbst interessenrelativ ist. Wie Maturana versucht Winograd, Schlussfolgerungen über die Wirklichkeit aus Eigenschaften unserer Repräsentationen der Wirklichkeit abzuleiten. Verschiedene "postmoderne" Literaturtheoretiker haben argumentiert, dass der Realismus irgendwie deshalb bedroht ist, weil all unser Wissen gesellschaftlich konstruiert und all der Willkür und dem Willen zur Macht jeder sozialen Konstruktion ausgesetzt ist. Wie George Levine schreibt, beruht "Antirealismus, selbst literarischer Antirealismus, auf einem Gefühl der Unmöglichkeit unvermittelter Erkenntnis". Derrida hat, soweit ich es sagen kann, gar kein Argument. Er erklärt einfach, dass es nichts außerhalb von Texten gibt (Il n'y a pas de "hors texte"). Und in einer späteren polemischen Antwort auf einige Einwände von mir scheint er ohnehin alles zurückzunehmen: Er sagt, dass er mit der anscheinend spektakulären Erklärung, dass es nichts außerhalb von Texten gebe, nur die Banalität meinte, dass alles in dem einen oder anderen Kontext existiert. Was soll man also tun angesichts einer Reihe schwacher oder gar nicht existenter Argumente für eine Schlussfolgerung, die einfach absurd erscheint?

Ich werde der Strategie folgen, mir diejenigen Argumente vorzuknöpfen, die ich für die überzeugendsten gegen den externen Realismus halte, und sie beantworten. Angenommen, ich wäre vom Antirealismus überzeugt: Was speziell hätte mich überzeugen können? Oder wenn das zu weit hergeholt erscheint, angenommen, das Schicksal der Menschheit beruhte darauf, dass ich jemand anderen vom Antirealismus überzeugte, welche Argumente würde ich verwenden? Ich werde drei Argumente erwägen: das Argument, das von der Begriffsrelativität ausgeht, das Verifikationsargument und das, was ich das Ding-an-sich-Argument nennen werde.


Angefügt sei noch der letzte Abschnitt aus Kapitel 8 desselben Buches mit dem Titel "Existiert die wirkliche Welt? Teil 2: Kann es einen Beweis für den externen Realismus geben?" (S.205-206):

Sobald wir einmal angefangen haben, zu unserem Gesprächspartner zu sprechen, haben wir schon die Existenz der wirklichen Welt vorausgesetzt, und wir sind in Verlegenheit, wenn wir versuchen zu beweisen, was unsere Versuche zu einem Beweis schon voraussetzen. Ich schließe das Kapitel mit einer Beantwortung der folgenden Frage: Warum spielt das eine Rolle? Was für einen Unterschied macht es? Schließlich ist es ja möglich, wie Wittgenstein irgendwo sagt, diese großen Debatten zwischen Realismus und Antirealismus, zwischen Idealismus und Materialismus lediglich als Schlachtgeschrei zu verstehen. Der Antirealist bringt nichtsdestoweniger sein Auto zum Mechaniker, um es reparieren zu lassen, und putzt sich die Zähne, als ob er glaubte, sie seien Objekte in der Außenwelt. Also was für einen Unterschied macht es, ob jemand sagt, dass er Realist ist oder nicht?

Ich glaube tatsächlich, dass philosophische Theorien einen erheblichen Unterschied für jeden Aspekt unseres Lebens machen. Meiner Beobachtung nach ist die Verwerfung des Realismus, die Leugnung ontologischer Objektivität, eine wesentliche Komponente der Angriffe auf epistemische Objektivität, Rationalität, Wahrheit und Intelligenz im zeitgenössischen intellektuellen Leben. Es ist kein Zufall, dass die verschiedenen Theorien der Sprache, Literatur und sogar Erziehung, die versuchen, die traditionellen Auffassungen von Wahrheit, epistemischer Objektivität und Rationalität zu untergraben, sich schwer auf Argumente gegen den externen Realismus stützen. Der erste Schritt im Kampf gegen den Irrationalismus - nicht der einzige, aber der erste Schritt - ist eine Widerlegung der Argumente gegen den externen Realismus und eine Verteidigung des externen Realismus als Voraussetzung großer Gebiete des Diskurses.

Lesen Sie dazu auch von John R. Searle: Rationalität und Realismus oder Was auf dem Spiel steht (1994)